Jiu-Jitsu bedeutet "sanfte Kunst" und ist eine Kampfkunst, mit der Angriffe waffenlos und unter Ausnutzung von Hebel-, Würge-, Schlag- und Trittechniken in Kenntnis der lebensempfindlichen Stellen am menschlichen Körper abgewehrt werden können.
Es ist eine traditionelle japanische Selbstverteidigungsart und wird noch heute, in alten und neuen Techniken, überall auf der Welt ausgeübt.

Zwei alte Legenden überliefern das Ur-Prinzip des Jiu-Jitsu "Siegen durch Nachgeben":
In der ersten beobachtet ein Chinesenjunge mit Namen Li-tei-feng bei einem großen Sturm voller Entsetzen, wie die dicksten Bäume entwurzelt und die stärksten Äste geknickt werden. Nur ein kleines Bäumchen wird verschont. Es biegt seinen Wipfel bescheiden bis hinunter zur Erde. Als der Sturm aufhört sein Unwesen zu treiben, richtet es sich wieder auf und steht unbeschädigt da, wie zuvor.

In der zweiten Legende wird von einem Weidenbaum und einem Kirschbaum im Winter berichtet. Unter der Last des Schnees brechen die Äste des Kirschbaums wie Streichhölzer, die Weide aber gibt biegsam nach, läßt den Schnee abrutschen und bietet ihm keine Angriffsfläche.

Heute vermutet man den Ursprung der meisten asiatischen Budokünste in der alten indischen Massagekunst, in der schon 2000 v.Chr. Über 100 schmerzempfindliche und lebensempfindliche Punkte am menschlichen Körper bekannt waren. Ihre Kenntnis war v.a. für Mönche und Ärzte von großer Bedeutung, um Akkupunktur und Akkupressur anwenden zu können.

Diese Atemi-Punkte wurden 525 n.Chr. Von Bodhidharma (japanisch: Daruma) im chinesischen Shaolin Kloster, in dem er 520-535 n.Chr. lebte, in eine "kämpferische Gymnastik", den 18 Händen des Lo Han, die als Ur-Form des heutigen Karate, aber auch vieler anderer Kampfkünste anzusehen ist, einbezogen.

Die japanischen Anhänger des Jiu-Jitsu sehen den Ursprung ihrer Kampfkunst in einer anderen Begebenheit: In einem 23 v.Chr. auf Befehl des Kaisers bestrittenen Kampf besiegte Nomi-no-sukune den derzeit besten Ringer Toma-ketsu Hayata und schlug ihn tödlich nieder. - Sie erkennen in diesem Sieg die Geburtsstunde des Jiu-Jitsu.

Der Ursprung des Jiu-Jitsu läßt sich mit Sicherheit nicht auf ein einzelnes Ereignis festlegen. In der Entstehung der alten Kampfkunst müssen also mehrere Stilrichtungen beteiligt gewesen sein.

Eine der ältesten japanischen Jiu-Jitsu-Formen ist das Yawara, welches ausschließlich von den Samurai, der Ritterkaste, waffenlos und in Rüstung ausgeübt wurde und schon vor dem Jahre 1650 bekannt war. In diesem Jahr kam der Chinese Chin. Gempin nach Owari, Japan und lehrte dort sein Jiu-Jitsu. Die japanischen Adelsfamilien erkannten schnell den Wert, den diese Kampfkunst für sie selbst und ihre Gefolgsleute darstellte. Aber auch die Samurai machten siech Gempins Jiu-Jitsu zu eigen, perfektionierten es und nahmen es in ihren Ehrenkodex, dem BUSHIDO auf. Chin-Gempin wurde in den Adelsstand erhoben und starb 1671 in Owari.

Aber auch die Ninja (hochspezialisierte Einzelkämpfer), die Wako (Piraten) und die Komoso (ritterliche Bettelmönche) waren neben den Samurai an der Entwicklung des Jiu-Jitsu beiteiligt. Von der fast rechtenlosen normalen Bevölkerung, die bis 1871 nicht einmal einen Namen tragen durfte, wurde das Jiu-Jitsu kaum beeinflußt. Das Kobudo (Waffentechniken) entwickelte sich damals zur Hochblüte

Das Jiu-Jitsu wurde in der Folgezeit in verschiedenen Stilrichtungen wie z.B. Toride, Kogusoku, Komiuchi, Shibaku, Tai-jitsu, Wa-jitsu, Aiki-jitsu und Kito-ryu-jiu-jitsu in ganz Japan ausgeübt.

Mit der Öffnung Japans, das 1600-1853 von der umgebenden Welt so gut wie abgeschlossen war, setzte eine gewisse Verachtung der eigenen Kultur ein: alles Fremde wurde nun verherrlicht. Somit geriet auch die alte Kampfkunst Jiu-Jitsu beinahe in Vergessenheit.

Erst als im Jahre 1877 der deutsche Medizin-Professor Dr. Erwin Bälz, der an der kaiserlichen Universität in Tokio zwischen 1876 und 1905 lehrte, den Jiu-Jitsu-Altmeister Totsuka bei Vorführungen gesehen hatte, wurde die Kampfkunst wieder in Erinnerung gebracht: Bälz war von den Vorführungen so angetan, daß er Jiu-Jitsu als "Gymnastik" für seine Studenten an der Universität einführte.

Der junge Student Jigoro Kano (1860-1939) übte es mit Begeisterung, suchte weitere alte Meister auf und studierte verschiedene Stilrichtungen. Auf diese Weise wurde Kano von Fukudo Hoachinosuke, dem Kampfmeister am kaiserlichen Institut für Kriegskünste in die Geheimnisse des Ten-Shin-Shinyo-Systems eingeweiht, in dem bevorzugt Schläge und Stöße mit den Füßen, sowie Verhebelungen der gegnerischen Glieder gelehrt wurden. Später lernte er durch den berühmten Meister Jikubo Kohei auch das Kito-ryu-jiu-jitsu (Kunst oder Fertigkeit, durch sanftes Ausweichen und Nachgeben das Gleichgewicht zu brechen, um ihn auszuheben und dann niederzuwerfen) kennen. Das Kito-ryu-jiu-jitsu war um 1640 von Terada entwickelt worden, der auch das, dem Karate verwandte, Kempo gefördert hatte.

Schließlich fügte Kano die unterschiedlichen Systeme der Selbstverteidigung zu einer eigenen Stilrichtung, dem Kano-Jitsu zusammen, die er als Lehrprogramm und als Sportart an den Hochschulen einführte.

Aus dem Kano-Jitsu entwickelte er in den Folgejahren unter Ausschluß der gefährlichen Techniken die weltbekannte sanfte Sportart Jiu-Do (heute Judo). Schon 1886 gründete Jigoro Kano seine eigene Schule, das Kodokan.